Montag, 02. November
Ich schlafe sehr unruhig. In diesem Warteraum ist die ganze Nacht das Licht an. Immer wieder gehen Menschen durch. Und rauchen auch hier drin. Draußen fahren auch nachts Züge ab und durch. Es ist sehr laut. Um 6 kann ich nicht mehr schlafen. Ich räume mein Nachtlager zusammen. Und gehe zur Bahnhofstoilette, um mich zu waschen. Die ist allerdings nachts geschlossen. Und auch jetzt noch zu. Nur eine separate „Pinkeltoilette" ist geöffnet. Hier gibt es ein kleines Waschbecken mit kaltem Wasser. Immerhin ist dieser Raum von innen zu verriegeln. Hier kann ich mich waschen. Das Zähneputzen ist allerdings sehr „gewöhnungsbedürftig“ Aber mich kann nichts mehr erschüttern. Spätestens auf dieser Reise hab ich mir abgewöhnt „pingelig“ zu sein. Nach dem Waschen geh ich rüber ins Café. Wie in jedem Café hier in Kroatien gibt es nur Getränke. Nichts zu essen. Nach einem Kaffee gehe ich mit dem Mann zu der Fahrradwerkstatt in der Stadt. Die öffnet allerdings erst um 8:30 Uhr. Und jetzt ist es kurz nach 8. Direkt daneben ist eine Bäckerei (pekara). Hier kaufe ich mir Backwaren. Eine Sitzgelegenheit gibt es nicht. Also setze ich mich auf eine Mauer vor der Fahrradwerkstatt. Und frühstücke schnell. Dann kommt der Inhaber der Werkstatt. Er kann etwas Englisch. Nachdem er sich das Hinterrad angeschaut hat, bietet er mir an, das für 45€ zu reparieren. Das es hier keine Vollgummireifen gibt, war mir klar. Und auch durch viele Facebook Kommentare und Ratschläge von Freunden ist mir mittlerweile klar, dass Vollgummireifen wohl doch nicht die Lösung für mich und meine Tour sind. Abgesehen davon, dass es in Kroatien nahezu unmöglich ist, so etwas zu bekommen. Ich habe ja noch einen Schlauch. Den Viktor in Österreich für mich gekauft hat. Allerdings ist die neue Decke auch kaputt. Ich entscheide mich für die Beste (teuerste) Decke, die es in dieser Werkstatt gibt. Trotzdem ist die Reparatur von meinem Hinterrad mit neuen (verstärkten) Speichen erstmal sehr günstig. Ich packe auf dem Hof mein Rad ab. Und baue das Hinterrad aus. Der Werkstattinhaber wird es neu einspeichen. Und die Decke aufziehen. Um 11 kann ich wieder kommen. Ich nutze die Zeit. Erstmal hebe ich 500 HRK von meinem Konto ab. Dann versuche ich ein Zelt zu bekommen. Über Google finde ich ein Sportgeschäft in der Nähe. Ich geh hin. Aber die haben keine Zelte. Die Verkäuferin sagt, dass man so etwas hier in Ogulin nicht bekommt. Auch die Google Suche zeigt mir nichts an. Ich werde also erstmal ohne Zelt weiter fahren. Gegen 11 gehe ich wieder zu der Werkstatt. Mein Hinterrad ist wie neu. Ich bezahle 330 HRK. Aber ich freue mich zu früh…beim Einbau merke ich, dass die Geräusche immer noch da sind. Mir wird langsam klar, dass nicht nur die losen Speichen die Geräusche gemacht haben. Sondern hauptsächlich die Nabe. Klar, ich könnte es jetzt so zusammen bauen. Und erstmal fahren. Aber dann ist vorprogrammiert, dass ich in nächster Zeit wieder liegen bleibe. Und gerade hier in Kroatien, wo es nicht in jeder Stadt Ersatzteile gibt, wäre das ungünstig. Und jetzt ist gerade Monatsanfang. Ich hab Geld auf dem Konto. Also werde ich das Rad jetzt richtig reparieren das bedeutet, dass ich ein neues Hinterrad brauche. Allerdings hat diese Werkstatt keine Hinterräder mit Nabenschaltung. Die werde ich in ganz Kroatien nur sehr schwer bekommen. Mir bleibt also keine andere Möglichkeit, als das Fahrrad auf Kettenschaltung umzurüsten. Ich kaufe ein neues Hinterrad (Das Beste, und teuerste, was es hier gibt), ein passendes Ritzel und einen Umwerfer. Auch dabei entscheide ich mich für den Besseren. Insgesamt bezahle ich 669 HRK (88€) Das ist günstig. In Deutschland hätte ich mehr bezahlt. Mir ist natürlich klar, dass das nicht die Qualität ist, die ich eigentlich für meine Reise und insbesondere die Gewichtsbelastung brauche. Aber das ist dann so. Ich kann ja nicht einfach hochwertige Bauteile im Netz bestellen. Sondern muss das nehmen, was es hier in Kroatien vor Ort gibt. Und auch diese recht günstige Reparatur ist für mein knappes Budget schon eine Belastung. Ich frage, ob ich dafür hier in der Werkstatt arbeiten kann. Aber das ist nicht möglich. Gerade jetzt in Corona Zeiten hat diese Werkstatt kaum Aufträge. Also bezahle ich mit Karte. In dem Betrag ist kein Arbeitslohn enthalten. Das heisst, ich muss alles selber zusammenbauen. Das mache ich auch sofort. Auf dem Hof. Der Werkstattinhaber baut nur das Ritzel an die Felge und zieht die Bereifung auf. Die Montage der Schaltung mache ich auf dem Hof. Dabei merke ich, dass der Bowdenzug für den neuen Umwerfer zu kurz ist. Ich kaufe noch einen passenden Bowdenzug für 10 Kuna dazu. Außerdem kaufe ich noch einen Satz Bremsbacken für 20 Kuna. Als Reserve. Meine neuen Bremsbacken sind schon wieder ziemlich abgenutzt. Der Zusammenbau und besonders das Einstellen der Schaltung dauert recht lange. Um etwa 15:30 Uhr ist mein Rad wieder beladen und startklar.
Zum weiterfahren ist es jetzt zu spät. Also fahre ich wieder zum Café am Bahnhof. Ich stelle mich auf eine weitete Nacht im Bahnhof ein. Erstmal setze ich mich ins Café. Ich will den Abend nutzen, um die Berichte der letzten Tage zu schreiben. Aber es kommt anders. Schon nach kurzer Zeit werde ich von einem Mann angesprochen. Wir unterhalten uns sehr gut auf Englisch. Auch er ist beeindruckt von meiner Geschichte. Irgendwann sagt er, dass ich mit ihm mitkommen kann. Er lebt hier in der Nähe.
Wir gehen mit meinem Fahrrad stadtauswärts. Der Asphaltweg wird zu einem Schotterweg. Dann endet der Weg. Oder ist im Dunkeln nicht mehr zu erkennen. Wir sind auf einem Bahngelände. Auf Schienen stehen hier mehrere ausrangierte Bahn Waggons. Die sind offenbar bewohnt. Wir schieben mein Fahrrad zwischen den Waggons durch. Bis zu dem Waggon wo er lebt. Über eine Holztreppe kommt man dort hinein. Innen ist es sehr geräumig. Aber auch sehr einfach. Dieser Waggon ist etwa aus den 1960er Jahren. Es gibt einen „Wohnraum" mit einem Tisch und einigen wackeligen Sitzgelegenheiten. Daneben ist ein abgetrennter „Raum“ mit Doppelbetten auf beiden Seiten. Hier kann ich schlafen. Aber erstmal sitzen wir im „Wohnraum" zusammen. Es wird ein sehr guter Abend. Nachbarn und Freunde kommen und gehen. Mein „Gastgeber" ist der einzige der Englisch kann. Er übersetzt für seine Freunde das was ich sage. Ich erzähle von meiner Reise. Und für mich übersetzt er das was seine Freunde sagen. Die anderen trinken Bier und rauchen Joints. Immer wieder reden sie auf mich ein, dass ich doch mit trinken und rauchen soll. Aber ich bleibe ganz klar und entschieden beim „no, I don’t want" Ich denke schon, dass ich mir damit Respekt verschaffe. Besonders, weil ich auch ohne weed und pivo genauso lustig bin wie sie. Später, als es ruhiger wird, habe ich ein tiefgründiges Gespräch mit meinem Gastgeber. Er erzählt von seinem Bullshit life hier im Waggon. Vom weed. Um zu sich selber zu finden. Wir reden über Freiheit. Freiheit vom System. Ich sage, dass ich lieber im Wald oder im Bahnhof auf dem Boden schlafe, als in einer Wohnung für die ich Monat für Monat Miete und Nebenkosten bezahlen muss. Ich sage, dass ich nichts (mehr) muss. Ich muss nicht arbeiten, um meine Miete zu bezahlen. Ich kann arbeiten, wenn ich möchte. Und ich sage, dass ich jetzt auf meiner Reise grenzenlos frei bin. Ich kann fahren, wohin ich will. Und ich kann jederzeit zurück nach Deutschland. Das fasziniert ihn. Wir unterhalten uns sehr lange…Irgendwann meint er, dass wir schlafen sollten. Er muss morgen um 6 arbeiten. Also ist um 5 die Nacht vorbei. Ich richte mich noch kurz in einem der Betten für die Nacht ein. Und schlafe dann.