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Ich bin in Izmir

<Das war der Montag

Dienstag, 18. Januar

Heute Nacht ist es deutlich wärmer.

Gegen 6 wache ich auf. Ich bleibe aber noch bis der Wecker um 6:30 Uhr  klingelt, liegen. Dann bin ich kurz bei Facebook. Lese und beantworte meine Nachrichten. Ab 7 schreibe ich Tagebuch. Und jetzt fängt es an zu regnen. Es ist aber nur ein kurzer Schauer. Um genau 7:19 Uhr ertönt aus fast gleichzeitig aus allen Moscheen in Izmir der Aufruf zum Morgengebet. Die Rufe sind aber um wenige Sekunden versetzt. Es ist zusammen mit dem Verkehrslärm der nahen Hauptverkehrsstraße eine skurrile Geräuschkulisse, die in mein Zelt dringt.

Um 8:15 Uhr fängt es wieder an zu regnen. Auch das ist nur ein Schauer.

Um 8:45 Uhr ist mein Tagebuch auf dem neuesten Stand. Ich starte in den Tag. Ich wasche mich. Das Wasser ist heute nicht ganz so kalt. Und auch im Zelt ist es erträglich.

Pünktlich um 9 passiert etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Ein LKW fährt auf den Feldweg, neben dem ich zelte. Dann beginnen in der unmittelbarer Nähe Baggerarbeiten. Offenbar wird hier Sand abgebaut. Die sehr nahen Baggerarbeiten übertönen den Verkehrslärm. Allerdings sehen die Arbeiter mich zunächst nicht. Aber es ist schon ein komischer Gedanke, dass ich nackt auf meiner Plane sitze, während wenige Meter hinter mir gebaggert wird. Und vor mir der morgendliche Berufsverkehr nach Izmir vorbei rollt.

Ich packe dann meine Sachen im Zelt zusammen.

Nach etwa einer Stunde fährt der LKW wieder weg. Der Bagger bleibt stehen. Von hinten kommend, sieht der Fahrer jetzt offenbar mein Zelt. Er hupt.

Ich fange dann an, das Fahrrad zu beladen. Und baue das Zelt ab. Dann kommt der LKW wieder. Im vorbei fahren hupt er. Ich grüße per Handzeichen. Als ich dann fast fertig bin, fährt der LKW wieder. Jetzt hält er an. Ich unterhalte mich eine Weile mit dem Fahrer. Die Verständigung ist etwas schwierig. Aber er versteht,  dass ich mit dem Fahrrad aus Deutschland komme. Und nach Japan fahre. Dann fährt der Bagger vorbei. Bis zur Hauptstraße. Der Fahrer kommt zu Fuß zu uns. Er spricht etwas deutsch. Wir unterhalten uns eine Weile. Eine der ersten Fragen ist „Hast du Kinder?" Die Männer sind erstaunt, dass ich keine Kinder habe. Aber sie sagen, dass ich dadurch frei bin. Und mit dem Fahrrad nach Japan fahren kann. Sie haben 3 und 2 Kinder. Und müssen für ihre Familie arbeiten. Nach einer Zigarettenpause verabschieden sie sich. Dieses Gespräch macht mir mal wieder klar, wie wertvoll meine Freiheit ist. Und ein entscheidender Punkt ist, dass ich keine Kinder habe. Als ich noch verheiratet war, wollten wir eigentlich Kinder. Aber es hat nicht geklappt. Später habe ich mich bewusst entschieden, keine Kinder zu haben. Ich war schon immer ein Freigeist. Und Kinder passten nicht zu einem Lebensstil. Ich wollte mein Partyleben genießen. Seit 2018 habe ich diese Reise geplant. So etwas ist mit Kindern in dieser Form nahezu unmöglich. Mittlerweile kann ich es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, ein weiteres Leben in diese kranke Welt zu setzen.

Mit diesen Gedanken packe ich die letzten Sachen zusammen. 

Um 12 bin ich startklar. Ich verlasse meinen Zeltplatz. Und fahr ohne Navi in Richtung Izmir Zentrum.

Allerdings zeichne ich meine Strecke auf.

Wie erwartet bin ich nach kurzer Zeit im Stadtzentrum dieser Metropole mit über 4 Millionen Einwohnern. Ich schiebe das Fahrrad durch die Fußgängerzone. Und lasse das bunte Treiben auf mich wirken.

Wie immer in Großstädten bin ich zwigespalten. Zum einen genieße ich die unendlichen Möglichkeiten. Freue mich darauf, Menschen kennenzulernen. Hier kann ich mir Dinge kaufen, die es in kleinen Städten oder gar Dörfern nicht gibt. Und ja… Ich liebe das Nachtleben in Großstädten. Natürlich für mich alkoholfrei.

Zum anderen merke ich immer mehr, dass die moderne Konsumwelt nicht mehr meinen Vorstellungen vom Leben entspricht. Insbesondere dieser Virus Humbug und die vielen armen,  gesichtslosen Menschen im Konsumrausch sind für mich unerträglich. Es ist einfach nur krank! Und ich möchte diesen Wahnsinn nicht mitmachen. Und nicht mit meinem Geld unterstützen.

Je mehr ich mich in meinem Reisealltag von der „Normalität“ entferne,  desto mehr überwiegt das negative Gefühl in mir. Ich überlege bei jeder Großstadt,  dass ich Städte in Zukunft meiden sollte. Und doch plane ich meine Route entlang der Städte. Es ist ein Wiederspruch. 

Wie auch immer….jetzt bin ich in Izmir. In der drittgrößten Stadt der Türkei. Und erstmal genieße ich es.

Mal wieder wird mir bewusst, wie außergewöhnlich meine Reise ist. Es gibt nicht viele Menschen die mit Fahrrad aus Deutschland hierher gefahren sind. Von Dresden nach Izmir. Alleine das ist eine beachtliche Leistung.  Dann nach meiner Lebensgeschichte…den vielen Verletzungen….Und in dieser besonderen Zeit. Ich bin immer noch komplett C-clean. Hab noch nie einen Test gemacht.  Darauf kann ich durchaus Stolz sein.

Ab etwa 13:40 Uhr mache ich Pause in einer der vielen Bars für frisch gepresste Fruchtsäfte. 

Ich beginne mir Gedanken zu machen, wo ich übernachten kann. Gucke zufällig nochmal in die WhatsApp Gruppe. Jetzt sehe ich erst, dass Agit mir angeboten hat, dass ich sehr gerne zu ihm kommen kann. Und dann fällt mir wieder ein, dass ich im November bereits mit ihm geschrieben habe. Schon damals hatte er mir angeboten, dass ich zu ihm kommen kann, wenn ich in Izmir  bin. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Jetzt schreibe ich ihm sofort. Agit wohnt in einem Studentenwohnheim etwa 11 km von hier.

Also mache ich mich auf den Weg dorthin.

Etwa um 14:45 Uhr komme ich an einem Geschäft für Unterhaltungselektronik vorbei. Durchs Schaufenster sehe ich, dass es hier Powerbanks gibt. Spontan gehe ich rein. Wie immer ohne Maske. Das ist für mich selbstverständlich. In dem recht großen Geschäft sind keine weiteren Kunden. Aber mehrere Angestellte. Alle mit Maske. Als ich reinkomme, nehmen alle nach und nach ihre Masken ab. Diese Geste der Menschlichkeit bewegt mich! Jetzt ist es eine entspannte Atmosphäre. Der Kundenberater spricht sehr gut englisch. Er berät mich. Ich entscheide mich für die beste Powerbank. Mit 20.000Ah. Sie koste nur 235 Lira. Das entspricht beim derzeitigen Wechselkurs 15,44€. Somit ist diese gute Powerbank günstiger als eine vergleichbare in Deutschland. 

Nach diesem guten Kauf fahre ich weiter. Jetzt hab ich mal wieder Probleme mit dem GPS Signal. Immer wieder fällt die Routenführung aus. Damit ist keine vernünftige Navigation möglich. Ich verfahre mich. Und brauche sehr lange für die 11 km.

Viel später als geplant erreiche ich um etwa 18:20 Uhr das Studentenwohnheim.

Mit Agit verstehe ich mich auf Anhieb sehr gut. Er spricht sehr gut englisch. So dass wir uns fließend auf englisch unterhalten können. Das erleichtert unsere Kommunikation. Agit studiert Archäologie. Zur Zeit bereitet er sich darauf vor, sein Studium in Deutschland fortzusetzen. Und er reist sehr gerne. Außerdem hat er in vielen Punkten ähnliche Ansichten wie ich. Wir unterhalten uns lange intensiv und sehr gut. Ich erzähle von meiner Reise. Dann sprechen wir über Frieden.

Ich lerne auch gleich einige der anderen Studenten kennen. Unter anderen Batuhan. Er studiert Deutsch. Und möchte Deutschlehrer werden. Mit ihm unterhalte ich mich auf deutsch. Wir verbringen den Abend im Aufenthaltsraum. Hier ist auch die Küche. Später essen wir zusammen. Es gibt Spaghetti.

Etwa um 22:30 Uhr zeigt Agit mir meinen Schlafraum. Ich werde im Untergeschoss von einem externem Gebäude in der selben Straße untergebracht. Dieses Haus wird gerade renoviert. Hier leben auch Studenten. In einem Raum bekomme ich ein ausklappbares Sofa als Schlafplatz. Dort richte ich mir mein Nachtlager ein. Ich trinke wieder eine doppelte Zitrone.

Ab etwa 23:30 Uhr schlafe ich.


Ich bin heute knapp 20 km gefahren. 

So geht es morgen weiter>

I am in Izmir

<This was Monday

Tuesday, 18 January

It is much warmer tonight.

I wake up around 6. But I stay in bed until the alarm clock rings at 6:30. Then I am briefly on Facebook. Read and answer my messages. From 7 I write in my diary. And now it starts to rain. But it is only a short shower. At exactly 7:19 a.m., the call to morning prayer is heard almost simultaneously from all the mosques in Izmir. But the calls are staggered by a few seconds. Together with the traffic noise of the nearby main road, it is a bizarre soundscape that penetrates my tent.

At 8:15 it starts to rain again. This too is just a shower.

At 8:45 my diary is up to date. I start the day. I wash myself. The water is not quite so cold today. And it is also bearable in the tent.

At 9 on the dot, something happens that I hadn't expected. A truck drives onto the dirt road next to where I am camping. Then excavator work begins in the immediate vicinity. Apparently sand is being extracted here. The very close excavator work drowns out the traffic noise. However, the workers don't see me at first. But it is a funny thought that I am sitting naked on my tarpaulin while dredging is going on a few metres behind me. And in front of me the morning rush hour to Izmir rolls by.

I then pack up my things in the tent.

After about an hour, the truck drives away again. The excavator stops. Coming from behind, the driver now obviously sees my tent. He honks the horn.

I then start to load the bike. And take down the tent. Then the truck comes again. He honks as he passes. I greet him by hand signal. When I am almost finished, the truck drives away again. Now it stops. I talk to the driver for a while. The communication is a bit difficult. But he understands that I am coming from Germany by bicycle. And I'm going to Japan. Then the excavator drives past. All the way to the main road. The driver comes to us on foot. He speaks a little German. We talk for a while. One of the first questions is "Do you have children?" The men are surprised that I don't have children. But they say that it frees me up. And can go to Japan by bike. They have 3 and 2 children. And have to work for their family. After a cigarette break, they say goodbye. This conversation makes me realise once again how valuable my freedom is. And a crucial point is that I don't have children. When I was still married, we actually wanted children. But it didn't work out. Later I made a conscious decision not to have children. I have always been a free spirit. And children didn't fit into a lifestyle. I wanted to enjoy my party life. Since 2018, I have been planning this trip. Something like this is almost impossible with children in this form. Meanwhile, I can't reconcile it with my conscience to put another life into this sick world.

With these thoughts, I pack up the last things. 

At noon I am ready to go. I leave my campsite. And drive without a sat nav in the direction of Izmir city centre.

However, I record my route.

As expected, after a short time I am in the city centre of this metropolis with over 4 million inhabitants. I push the bike through the pedestrian zone. And let the colourful hustle and bustle take its effect on me.

As always in big cities, I am ambivalent. On the one hand, I enjoy the endless possibilities. I look forward to meeting people. Here I can buy things that are not available in small towns or even villages. And yes... I love the nightlife in big cities. Non-alcoholic for me, of course.

On the other hand, I notice more and more that the modern consumer world no longer corresponds to my ideas of life. Especially this viral humbug and the many poor, faceless people in a consumer frenzy are unbearable for me. It's just sick! And I don't want to take part in this madness. And not support it with my money.

The more I move away from "normality" in my everyday travel life, the more the negative feeling in me prevails. I think about every big city that I should avoid cities in the future. And yet I plan my route along the cities. It is a contradiction. 

However....now I am in Izmir. In Turkey's third largest city. And for now I'm enjoying it.

Once again I realise how extraordinary my journey is. There are not many people who have cycled here from Germany. From Dresden to Izmir. That alone is a remarkable achievement.  Then after my life story...the many injuries....Und during this special time. I am still completely C-clean. Have never taken a test.  I can definitely be proud of that.

From about 13:40 I take a break in one of the many bars for freshly squeezed fruit juices. 

I start thinking about where I can spend the night. By chance, I check the WhatsApp group again. Now I see that Agit has offered me to come to his place. And then I remember that I had already written to him in November. He had already offered me then that I could come to him when I was in Izmir. I hadn't even thought of that. Now I write to him immediately. Agit lives in a student hostel about 11 km from here.

So I make my way there.

At about 14:45 I pass a shop for consumer electronics. Through the shop window I see that they have powerbanks. Spontaneously I go in. Without a mask, as usual. That is a matter of course for me. There are no other customers in the rather large shop. But there are several employees. All wearing masks. When I enter, they all take off their masks one by one. This gesture of humanity moves me! Now it is a relaxed atmosphere. The customer advisor speaks very good English. He advises me. I decide on the best power bank. With 20,000Ah. It only costs 235 Lira. At the current exchange rate, that's 15.44€. So this good powerbank is cheaper than a comparable one in Germany. 

After this good purchase, I drive on. Now I have problems with the GPS signal again. Again and again, the route guidance fails. This means that no sensible navigation is possible. I get lost. And it takes me a long time to cover the 11 km.

Much later than planned, I reach the student dormitory at about 18:20.

I get on very well with Agit right away. He speaks very good English. So we can talk fluently in English. That makes our communication easier. Agit is studying archaeology. At the moment he is preparing to continue his studies in Germany. And he likes to travel a lot. He also has similar views to mine on many points. We talk intensively and very well for a long time. I tell him about my journey. Then we talk about peace.

I also get to know some of the other students. Batuhan is one of them. He is studying German. And wants to become a German teacher. I talk to him in German. We spend the evening in the common room. This is also where the kitchen is. Later we eat together. We have spaghetti.

Around 10:30 pm, Agit shows me to my dormitory. I am accommodated in the basement of an external building in the same street. This building is being renovated. Students also live here. In one room I get a fold-out sofa to sleep on. I set up camp there for the night. I drink another double lemon.

From about 23:30 I sleep.


I have cycled just under 20 km today. 

So it continues tomorrow>

Mein Zeltplatz

Izmir

Im Studentenwohnheim