Donnerstag, 21. Oktober
Ich wache schon um 4:30 auf. Beginne sofort mit dem Tagebuch schreiben. Um 6:15 Uhr hallt sehr laut und deutlich der Aufruf zum Morgengebet bis in mein Zelt. Um 6:45 Uhr ist mein Tagebuch wieder aktuell. Ich starte in den Tag.
Dann passiert etwas womit ich nicht gerechnet habe.
Um 7 ist Arbeitsbeginn bei der Fabrik, neben der ich zelte. Die Maschinen hinter der Wand laufen an. Und aus den Entlüftungsrohren strömen giftige Gase direkt in mein Zelt. Der Gestank erinnert mich an Äther. Ich habe Ende der 1990er Jahre als Zeitarbeiter in einer Fabrik gearbeitet, die Laderaumabdeckungen und Türverkleidungen für Autos herstellt. Dort habe ich unter anderem (mit Atemschutzmaske) Kessel mit Äther gewaschen. Das was hier ausströmt, ist ähnlich. (Eine spätere Google Suche ergibt dass diese Firma Sohlen für Sportschuhe herstellt) Das heißt, hier wird auch eine ähnliche Kunststoffmasse verarbeitet. Daher der ähnliche Gestank.
Ich wasche mich heute sehr zügig. Zähne putzen lasse ich ausfallen. Schnell packe ich die Sachen zusammen. Und baue das Zelt ab. Bin dann sehr schnell startklar. Das ist auch gut so. Dieser Platz ist nicht nur wegen dem Gestank ungünstig. Ich bin ja mitten in einer Großstadt. Schon früh morgens sind hier viele Menschen unterwegs. Und auch wenn wild campen In der Türkei erlaubt ist, möchte ich ja Probleme vermeiden.
Um 8:15 Uhr schiebe ich das Rad auf die Straße. Nach kurzer Zeit komme ich an einem Café mit Backshop vorbei. Hier frühstücke ich. Etwa um 9:30 Uhr fahre ich bei frühlingshaften T-Shirtwetter weiter. Ich komme durch die Vorstände von Istanbul. Wann die eigentliche Stadt beginnt, weiß ich nicht. Ich komme an keinem Ortsschild vorbei. Oder sehe es nicht. Der Verkäufer nimmt zu. Sehr viele Menschen sind unterwegs. Ich navigiere mein schwer beladenes Rad durch das Verkehrsgewühle. Vorbei an Autos, gelben Taxis, Bussen, LKWs und Motorrädern. Von der Straße auf den Bürgersteig. Über hohe Absätze. Vorbei an Fußgängern und anderen Radfahrern.
Ich bin in Istanbul angekommen! Diese Metropole ist viel größer als jede Stadt in der ich bisher war. Istanbul ist nicht nur die größte Stadt der Türkei. Sondern auch die größte Stadt von Europa (wenn man den asiatischen Teil mit einrechnet). Diese Stadt ist krass (positiv gemeint) Ich bin geflasht….kann meine Eindrücke gar nicht in Worte fassen. Je näher ich dem Zentrum komme, desto wuseliger und krasser wird es. Und es ist laut. Der unendliche Verkehrslärm. Nicht nur Motorengeräusche….Hupen, Sirenen, Musik aus fahrenden Autos vermischt sich mit der Geräuschkulisse der Großstadt. Menschen unterhalten sich in unterschiedlichen Sprachen. Neben türkisch wird hier auch viel englisch gesprochen. Und hin und wieder höre ich deutsche Worte. Dazu die Musik aus den Bars. Überwiegend englische Titel. Ich komme an vielen wunderschönen Bauwerken vorbei. Viele Moscheen. Es ist beeindruckend, als die sehr lauten Aufrufe zum Gebet über die Stadt hallen und alles übertönen. Aber ich sehe auch die Schattenseiten. Den Müll am Straßenrand. Die großen Mülltonnen überall. Die Bewohner der Stadt trennen ihren Müll nicht. Es kommt alles in die grauen Tonnen. Die Mülltrennung übernehmen Menschen die zu Fuß mit großen Handwagen durch die Stadt gehen. Und in den Mülltonnen nach Wertstoffen suchen.
Auch hier in Istanbul gibt es sehr viele Straßenhunde und Katzen. Sie gehören zum Stadtbild.
Und noch etwas gehört zum Stadtbild. Die allermeisten Menschen tragen eine Maske. Auch auf der Straße. Das stört mich gewaltig. Ich kann, und werde mich nicht daran gewöhnen, dass Masken zum normalen Stadtbild gehören. Für mich ist das der Hauptgrund, nicht zu lange in dieser tollen Stadt zu bleiben. {Das gilt nicht nur für Istanbul. Sondern auch für jede andere Stadt)
Aber heute komme ich erstmal an. Um etwa 14:30 Uhr mache ich Pause in einem Schnellrestaurant. Und esse ein belegtes Sandwich.
Dann fahre ich direkt zu der Adresse von Jan. Wir sind um 18:30 Uhr verabredet. Jan wohnt im Stadtbezirk Beyoğlu. Hier geht es teilweise steil bergauf. Und die Navigation wird in dem Gewirr von Straßen immer schlechter. Ich schiebe das Rad Kreuz und quer durch die Innenstadt. Bergauf und bergab. Im Kreis. Es wird dunkel. Ich verliere die Orientierung. Es dauert lange, bis ich die Adresse finde. Bin erst mit 20 min später als verabredet da. Gegen 19 Uhr komme ich bei Jan an. Dann finde ich das richtige Haus nicht. Jan kommt runter. Es ist ein Mehrfamilienhaus. Da wir das Rad nicht durch die Eingangstor bekommen, packe ich es ab. Zusammen tragen wir erst mein Gepäck und dann das Fahrrad in den Haustür. Seine Wohnung ist im 5. Stock.
Es ist ein großes, schickes und luxuriös eingerichtetes Appartement. Mit einer großen Dachterrasse. Direkt am Bosporus. Mit einer wunderbaren Aussicht auf Istanbul und den Bosporus.
Direkt vor mir ist mein Jahresziel 2021! Jetzt liegt diese Meerenge fast im Dunkeln. Nur die Lichter der Großstadt erhellen sie von beiden Seiten.
Als dann um 19:45 Uhr aus den zahlreichen Moscheen der Aufruf zum Abendgebet über Istanbul und den Bosporus hallt, bin ich wirklich geflasht.
Etwa 10. Minuten dauert dieses besondere Erlebnis. Diese Momente auf der Dachterrasse sind einer der absoluten Höhepunkte meiner Reise. Ich filme die einzigartige Kulisse und den Gebetsaufruf mit meiner Handy Kamera.
An diesem Abend weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe. Ich bin aus eigener Kraft mit Fahrrad bis nach Istanbul gefahren. Gegen alle Widerstände. Trotz der aktuellen weltweiten Krisensituation. Und nach dem was ich alles durchgemacht habe. Nach 2 sehr schweren Autounfällen und den massiven Verletzungen. Ich war mehrmals fast tot. Zuletzt im Sommer / Herbst 2018.
Und jetzt, 3 Jahre später stehe ich hier vor der eurasischen Grenze. Und genieße die grandiose Aussicht.
Jan bestellt Pizza für uns. Dann sitzen wir noch lange in seinem schicken Wohnzimmer zusammen. Und unterhalten uns. Jan kommt aus Dänemark und ist Diplomat. Er reist seit vielen Jahren durch die Welt. Und hat schon in vielen Ländern und Städten gelebt. Unter anderem in New York. Er war auch schon länger in China. Im Iran, in Afghanistan. Ich bin schwer beeindruckt von diesem tollen, weitgereistem Mann. Er hat an den Orten gelebt, von denen ich (noch ) träume. Diese Länder und Städte möchte, und werde ich mit dem Fahrrad bereisen. Ich bin mir sehr sicher, dass ich es schaffen werde. Ich bin mit Fahrrad von Deutschland bis hierher gefahren. Dann schaffe ich es auch nach Shanghai zu fahren. Und nach Hiroshima.
Später richte ich mich im Gästezimmer für die Nacht ein. Und dusche in dem luxuriösen Bad von Jan.
Dann bin ich noch mit Tablet im Bett. Und versuche das Video bei Facebook hochzuladen. Aber die Datei ist zu groß. Trotz WLAN klappt es nicht. Auch auf meiner Homepage kann ich es nicht hochladen. Aber das ist dann so. Ich werde mich in Zukunft doch nur auf Fotos beschränken.
Ab Mitternacht schlafe ich. Meine Zitrone lasse ich heute ausfallen.
Ich habe heute knapp 45 km im Stadtgebiet von Istanbul zurück gelegt. Teilweise habe ich das Rad geschoben.
Dieser 21.10.2021 war einer der besten Tage meiner Reise. Ich bin sehr glücklich! Ich bin in Istanbul. Diese Stadt ist von Anfang an neben Hiroshima eines der Hauptziele meiner Reise gewesen. Und heute habe ich es erreicht.
Ich lebe wirklich meinen Traum!
I have reached my 2021 annual target! I am in Istanbul
Thursday, 21 October
I wake up at 4:30 already. Immediately start writing the diary. At 6:15 the call to morning prayer echoes very loudly and clearly into my tent. At 6:45 my diary is up to date again. I start the day.
Then something happens that I had not expected.
At 7, work starts at the factory next to which I am camping. The machines behind the wall start up. And toxic gases pour out of the ventilation pipes directly into my tent. The stench reminds me of ether. I worked as a temp in the late 1990s in a factory that made cargo area covers and door panels for cars. Among other things, I washed boilers with ether there (wearing a respirator mask). What is emitted here is similar. (A later Google search shows that this company produces soles for sports shoes) That means that a similar plastic mass is processed here. Hence the similar stench.
I wash very quickly today. I skip brushing my teeth. I quickly pack up my things. And take down the tent. I'm ready to go very quickly. And that's a good thing. This place is not only inconvenient because of the smell. I am in the middle of a big city. Even early in the morning, there are a lot of people out and about. And even though wild camping is allowed in Turkey, I want to avoid problems.
At 8:15 a.m. I push the bike onto the street. After a short while I pass a café with a bakery. Here I have breakfast. At about 9:30am I cycle on in spring-like T-shirt weather. I pass through the outskirts of Istanbul. I don't know when the actual city begins. I don't pass any place name signs. Or don't see it. The vendors are increasing. A lot of people are on the road. I navigate my heavily loaded bike through the hustle and bustle of traffic. Past cars, yellow taxis, buses, trucks and motorbikes. From the street onto the pavement. Over high heels. Past pedestrians and other cyclists.
I have arrived in Istanbul! This metropolis is much bigger than any city I have been to before. Istanbul is not only the largest city in Turkey. It is also the largest city in Europe (if you include the Asian part). This city is stark (meant in a positive way) I am flashed....can't even put my impressions into words. The closer I get to the centre, the more bustling and crass it gets. And it's loud. The endless traffic noise. Not only engine noises....horns, sirens, music from moving cars mix with the soundscape of the big city. People talk to each other in different languages. Apart from Turkish, English is also spoken a lot here. And now and then I hear German words. And then there is the music from the bars. Mostly English titles. I pass many beautiful buildings. Many mosques. It is impressive as the very loud calls to prayer echo across the city, drowning out everything. But I also see the dark side. The rubbish on the roadside. The large rubbish bins everywhere. The people of the city do not separate their rubbish. It all goes into the grey bins. The waste is separated by people who walk through the city with large handcarts. And look for recyclables in the bins.
Here in Istanbul there are also many street dogs and cats. They are part of the cityscape.
And something else is part of the cityscape. Most people wear a mask. Even on the street. That bothers me enormously. I cannot, and will not, get used to masks being part of the normal cityscape. For me, this is the main reason not to stay too long in this great city. {This is not only true for Istanbul. But also for any other city)
But today I arrive first. At about 14:30 I take a break in a fast food restaurant. And eat a sandwich.
Then I drive straight to Jan's address. We have an appointment at 18:30. Jan lives in the municipality Beyoğlu. The road goes steeply uphill in parts. And the navigation gets worse and worse in the maze of streets. I push the bike criss-cross through the city centre. Uphill and downhill. In circles. It is getting dark. I lose my bearings. It takes me a long time to find the address. I arrive 20 minutes later than planned. Around 7 pm I arrive at Jan's. Then I don't find the right house. Jan comes down. It is an apartment building. As we can't get the bike through the entrance gate, I unpack it. Together we carry first my luggage and then the bike into the front door. His flat is on the fifth floor.
It is a large, chic and luxuriously furnished flat. With a large roof terrace. Right on the Bosphorus. With a wonderful view of Istanbul and the Bosphorus.
Right in front of me is my goal for the year 2021! Now this strait is almost in darkness. Only the lights of the big city illuminate it from both sides.
Then, at 7:45 pm, when the call to evening prayer echoes from the numerous mosques across Istanbul and the Bosporus, I am truly flashed.
This special experience lasts about 10 minutes. These moments on the roof terrace are one of the absolute highlights of my trip. I film the unique scenery and the call to prayer with my mobile phone camera.
That evening I know that I have done everything right. I cycled all the way to Istanbul under my own steam. Against all odds. Despite the current worldwide crisis situation. And after all I have been through. After 2 very serious car accidents and the massive injuries. I was almost dead several times. Most recently in the summer / autumn of 2018.
And now, 3 years later I am standing here in front of the Eurasian border. And enjoying the magnificent view.
Jan orders pizza for us. Then we sit together for a long time in his fancy living room. And talk. Jan comes from Denmark and is a diplomat. He has been travelling the world for many years. He has lived in many countries and cities. In New York, among other places. He has also been to China for some time. In Iran, in Afghanistan. I am very impressed by this great, well-travelled man. He has lived in the places I (still) dream of. I would like to, and will, travel to these countries and cities by bicycle. I am very sure that I will make it. I have cycled from Germany to here. Then I will also manage to cycle to Shanghai. And to Hiroshima.
Later, I settle in for the night in the guest room. And take a shower in Jan's luxurious bathroom.
Then I'm still in bed with my tablet. And try to upload the video to Facebook. But the file is too big. Despite WLAN it doesn't work. I can't upload it to my homepage either. But that's the way it is. In future I will limit myself to potos after all.
I'll sleep from midnight. I'm skipping my lemon today.
I cycled almost 45 km in the city of Istanbul today. Partly I pushed the bike.
This 21.10.2021 was one of the best days of my trip. I am very happy! I am in Istanbul. This city has been one of the main goals of my journey from the beginning, along with Hiroshima. And today I have reached it.
I am really living my dream!