Sonntag, 08. November
….Es kommt anders geplant...
Während ich im Bahnhof auf den Zug nach Split warte, kommen andere Fahrgäste in den Warteraum. Darunter ein junges Paar. Die beiden waren auch schon im Café. Wir kommen ins Gespräch. Die junge Frau kann gut englisch. Wir vertreiben uns die Wartezeit mit einer netten Unterhaltung. Sie kommt gebürtig aus Split. Die beiden fahren jetzt in ihre Heimatstadt. Ich bin froh, nicht alleine in den Nachtzug einzusteigen. Ich rechne damit, dass es schwer wird, dass Fahrrad in den Zug zu bekommen. Mir ist klar, dass der nicht barrierefrei sein wird. Wie es in Deutschland Standard ist. Geh rechtzeitig raus. Mit etwa 10 Minuten Verspätung kommt der Zug gegen 1 Uhr. Als ich diesen sehr alten Zug mit den engen Türen und Treppen sehe, ist mir klar, das wird nichts….
Ich versuche etwa 10 Minuten das schwer beladene Fahrrad die Treppe hoch durch die Tür in den Zug zu bekommen. Versuche es teilweise abzupacken. Die beiden Zugbegleiter und andere Fahrgäste helfen mir. Aber es hat keinen Zweck. Um das Fahrrad durch die enge Tür zu bekommen, müsste ich es komplett abpacken. Und auch die hinteren Gepäcktaschen abnehmen. Die hab ich mit Kabelbinder gesichert. Das ist in der kurzen Zeit nicht möglich. Es ist zwecklos.
Der Lokführer gibt per Handzeichen das Signal zum Abbruch. Die Zugbegleiter schließen die Türen. Der Zug setzt sich in Bewegung. Er fährt ab….ohne mich….
Ich bleibe alleine mit meinem demolierten und halb abgepackten Fahrrad auf dem dunklen Bahnsteig stehen. Es ist 1:15 Uhr. Mir bleibt nichts anderes übrig als das Rad wieder zum Bahnhofsgebäude zu schieben. Ich biege die verbogenen Schutzblechstreben wieder gerade. Und befestige mein Gepäck neu. Dann schließe ich das Rad vor dem Bahnhof an. Und gehe wieder in den Warteraum. Hier ist es wenigstens warm. Und hier ist das einzige Licht in der Dunkelheit. Draußen ist es mittlerweile kalt geworden. Eine Weile sitze ich alleine in dem Warteraum. Mir wird bewusst, dass sich die Bahnfahrt nach Split nicht nur für jetzt erledigt hat. Sondern generell. Beim nächsten Zug wird es genauso sein. Abgesehen davon, dass der nächste Direktzug nach Split erst wieder in der nächsten Nacht fährt. Tagsüber gibt es zwar auch Verbindungen nach Split. Aber über Zagreb. Mit mehreren Umstiegen. Und mit dem Bus. Das ist mit meinem beladenen Rad nahezu unmöglich. Sicher….ich könnte das Rad vorher komplett abpacken. Aber dann in wenigen Minuten das Rad und das lose Gepäck in den Zug zu bekommen, ohne was zu verlieren ist mir doch etwas zu ungewiss. Und in Split beim Ausstieg würde es ähnlich sein. Also hat sich die Option „mit der Bahn nach Split zu fahren" erledigt. Jetzt, mitten in der Nacht sehe ich gar keine Möglichkeit mehr…Mir bleibt nichts anderes übrig, als nochmal hier im Bahnhof zu schlafen. Also hole ich meinen Schlafsack rein. Der ist mittlerweile leicht feucht geworden. Es bildet sich bereits Raureif auf meinem Gepäck. Jetzt ohne Zelt draußen zu schlafen, wäre sehr ungemütlich! In meiner jetzigen Situation ist eine Weiterfahrt ausgeschlossen. Ich muss hier in Ogulin eine dauerhafte Unterkunft finden. Aber erstmal schlafe ich. Ich lege mich mit dem Schlafsack auf den Boden vor die Heizung ohne Plane. Und ohne Decke. Jetzt mein Gepäck abzupacken ist keine gute Idee…
Ich schreibe Sandro noch eine WhatsApp Nachricht, dass ich erstmal nicht nach Split kommen kann. Dann schlafe ich. Bis ich einschlafe ist es etwa 3 Uhr. Nach kurzer Zeit kommt ein Bahnmitarbeiter in den Warteraum und spricht mich an. Ich bin sofort hellwach. Das hat diese Reise bereits mit mir gemacht. Ich bin mittlerweile so an Extremsituationen gewöhnt, dass ich auch aus dem Tiefschlaf sofort klar komme. Und entsprechend reagieren kann. Ich antworte wie immer auf englisch. Erkläre ihm, dass ich auf einer Fahrradreise bin, und mit dem 0:44 Uhr Nachtzug nach Split fahren wollte. Aber das mein Fahrrad zu schwer beladen ist. Und ich es nicht in den Zug bekommen habe. Das versteht er. Er wünscht mir viel Glück und lässt mich weiter schlafen. Sonst kommt in dieser Sonntagnachnacht niemand in den Bahnhof. Alles ist ruhig. Bis auf ein paar Züge, die vorbei fahren. Wie ich es ja schon kenne, ist in diesem Raum das Licht die ganze Nacht an. Der Boden ist hart. Normalerweise liege ich ja sonst immer auf meiner Plane und der Decke. Meine Hüfte schmerzt. Seit langer Zeit mal wieder. An der Stelle wo vor 20 Jahren der Nagel war. Irgendwann schlafe ich wieder ein….Gegen 6 wache ich auf. Muss zur Toilette. Draußen ist es kalt. Es wird langsam hell. Es hat keinen Zweck, dass ich mich für 1 Stunde nochmal hinlegen. Also bleibe ich gleich auf. Ich wasche mich wieder auf der Pinkeltoilette. Zum 3. Mal. Gegen 7 rufe ich Sandro an. Er hat meine Nachricht bereits gelesen. Für ihn ist das ok.
Dann gehe ich rüber ins Café. Auch die heutige Thekenkraft kenne ich ja bereits. Auch sie ist erstaunt, mich wieder zu sehen. Ich erzähle ihr kurz auf englisch, was passiert ist. Dabei komme ich wieder mal mit den anderen Gästen ins Gespräch. Ich trinke Kaffee und verbringe diesen Sonntagvormittag im Café. Zwischendurch gehe ich mehrmals zum Bahnhof rüber. Und gucke, ob der Serviceschalter auf ist. Ich will versuchen, meine Fahrkarte zurück zu geben. Im Bahnhof ist aber niemand.
Über Freunde ergeben sich mehrere Optionen für meine Winterpause. Das beste und wahrscheinlichste ist, dass ich mir hier in Ogulin eine Unterkunft suche. Aus den Gesprächen im Café ergibt sich allerdings nichts. Keiner der anderen Gäste kann mir helfen. Dann helfe ich mir selber. Das lerne ich auf dieser Reise immer mehr. Letztendlich bin ich selbst für mich verantwortlich. Über Google suche ich Appartements hier in Ogulin. Zu dem was am nächsten dran ist, fahre ich direkt mit Rad hin. Aber der Vermieter erklärt mir auf englisch, dass er viele Reservierungen für die nächste Zeit hat. Und das er deshalb kein Zimmer länger vermieten kann. Ich fahre zurück zum Café. Suche über Google weitere Appartements. Die telefoniere ich der Reihe nach ab. Ich führe die Gespräche auf englisch. Darin bin ich mittlerweile sicher und selbstbewusst. Aber erstmal bekomme ich nur Absagen. Es ist nichts für längere Zeit frei. Der 4. Anruf ist dann nach einem erneuten Rückruf erfolgreich. Hier ist ein Zimmer frei. Das Appartement ist etwa 3 km vom Café entfernt. Ich verabschiede mich, und fahr da hin.
Ein sehr netter Mann empfängt mich. Wir unterhalten uns erst auf englisch. Dann deutsch. Sein Sohn kann sehr gut englisch. Ich erzähle kurz von meiner Reise. Erkläre dann meine Situation. Dass ich jetzt einen kleinen Raum für den Winter suche. Hier ist so ein kleines Zimmer mit Bett und Bad frei. Genau das was ich suche. Allerdings kostet es normalerweise 20€ pro Tag. Das ist günstig. Aber für mich zu teuer. Es dauert eine Weile, bis wir uns einigen. Ich bekomme den Raum für 250€ im Monat. Bei sofortiger Barzahlung. So viel Bargeld habe ich nicht dabei. Und ich benötige ja auch noch eine finanzielle Reserve. Um mir Lebensmittel kaufen zu können. Er bietet an, mich ins Zentrum zu einem Geldautomaten zu fahren. Wir einigen uns, dass ich erstmal 1500 Kuno bezahle. Dann fahren wir mit Auto in die Stadt. Ich hebe das Geld ab. Bezahle. Wir unterhalten uns noch eine Weile. Ich sage, dass ich in der Zeit hier gerne arbeiten möchte. Erwähne, dass ich Autoschlosser bin. Wir fahren dann zusammen zu einer Autowerkstatt in der Nähe. Aber da ist niemand. Heute ist ja Sonntag.
Dann fahre ich mit Fahrrad nochmal ins Zentrum. Ich brauche noch was zu essen. Hab heute noch gar nichts gegessen. Erstmal fahr ich zum Bahnhof. Aber der Schalter ist geschlossen.
Dann fahre ich zu einem Supermarkt. Dieser Lidl hat heute geöffnet. Das Angebot ist ähnlich wie in Deutschland. Nur das die Produkte überwiegend auf kroatisch beschriftet sind. Es gibt aber auch bekannte deutsche Produkte. Und sogar Bio Zitronen. Ich kaufe Lebensmittel für die nächsten Tage ein.
Fahr dann zurück zum Appartement. Packe das Fahrrad ab. Und richte ich mich in meinem Zimmer ein. Es gibt sogar einen Fernseher. Den brauche ich allerdings nicht. Ich gucke schon seit vielen Jahren kein TV mehr.
Das Fahrrad kann ich in den Flur stellen.
Den Rest des Tages verbringe ich im Zimmer. Chatte. Schreibe Facebook Kommentare. Und esse Fertigsalat und Brot. Später schreibe ich schonmal meinen Tagebucheintrag von heute. Dann trinke ich noch meine Zitrone. Etwa ab 23 Uhr schlafe ich.