Donnerstag, 05. November
Ich schlafe unruhig und denke nach. Es ist die feuchteste Nacht meines Lebens. Alles ist nass. Und es regnet die Nacht. Außerdem habe ich ein mulmiges Gefühl. Ich bin zwar nicht mitten im Wald. Aber weitab von den nächsten Ortschaften. Hier gibt es bestimmt nicht nur Wildschweine….Irgendwann höre ich auch einen Hund bellen….
Aber ich denke immer wieder „Ich mach das alles freiwillig.“ Ich habe mich selber für dieses Leben entschieden. Und auch für diese Reise. Ich muss nicht hier im Wasser liegen. Ich kann auch jederzeit abbrechen. Kann zum nächsten Bahnhof fahren. Und dann zurück nach Hause. Ich kann! Ich kann aber auch weiter fahren. Und ich erfülle mir gerade meinen Lebenstraum. Mir war von Anfang an klar, dass das keine Spazierfahrt wird. Und das soll es auch nicht. Ich wähle sehr bewusst den schweren Weg. Weil ich es kann! Der leichte Weg wäre zu einfach. Es macht mich stolz, dass ich es (wieder) kann. Immer wieder denke ich über meine Vergangenheit nach. An die Zeiten als ich nichts konnte. Nicht laufen, nicht sprechen, nicht essen, nicht schreiben…Ich denke daran, wie ich 2018 monatelang mit offenem Bauch und offenem Darm im Krankenhaus lag. An die Nächte als mir die gelbe Flüssigkeit aus dem Bauch lief. Und ich von oben bis unten damit beschmiert war. Das war wesentlich schlimmer als so eine Nacht im Wasser zu liegen! Diese Nacht wird mich nicht umbringen. Aber mir wird dadurch mal wieder bewusst, wie gut es mir geht, dass ich es kann! Und das es nicht selbstverständlich ist in einem warmen, weichen und trockenem Bett zu schlafen. Und morgens heiß duschen zu können. Mit fließendem Wasser aus dem Wasserhahn.
Um 6 kann ich nicht mehr schlafen. Es beginnt auch langsam hell zu werden. Und jetzt regnet es zumindest etwas weniger. Erstmal versuche ich, in meinen nassen Klamotten noch was halbwegs trockenes zum Anziehen zu finden. Ich hab zumindest noch eine trockene Unterhose. Meine beiden BW Hosen sind klitschnass. Aber in einer der guten Fahrradtaschen finde ich noch eine halbwegs trockene Jeans. Ich hab 3 Paar Schuhe mit. Aber alle sind nass. Genau wie die ganzen Socken. Also ist es egal welche ich anziehe. Nasse Füße hab ich so oder so. Das T-Shirt und der Pulli was ich anhaben ist auch feucht. Aber alles andere ist klitschnass. Darüber ziehe ich eine feuchte BW Jacke, die Regenjacke und die dicke Weste. So ist mir wenigstens nicht kalt. Mir ist klar, dass eine Weiterfahrt unter diesen Umständen nicht möglich ist. Ich werde mir heute eine Unterkunft für die nächste Zeit suchen. Zumindest bis ich wieder ein Zelt habe. Und in Anbetracht der Jahreszeit wäre es am besten jetzt eine Möglichkeit zum überwintern zu suchen. Das Wetter wird nicht besser. Und für die nächsten Tage sind für diese Gegend Temperaturen nahe 0 Grad vorhergesagt. Wenn zu der Nässe noch Kälte kommt, hilft auch mein gutes Immunsystem und meine Zitrone nicht mehr.
Ich packe meine nassen Sachen zusammen. Um 9:30 Uhr bin ich startklar. Ich verlasse diesen feuchten Ort und das Grab der kleinen Katze.
Eine ganze Weile schiebe ich das Rad. Es geht leicht bergauf. Und mir ist es zu nass zum fahren. Der Weg zieht sich. Es ist sehr weit bis zur nächsten Ortschaft. Irgendwann fahre ich doch. Damit ich vorwärts komme. Mir ist klar, dass es schon sehr bald wieder dunkel wird. Und ich hab keine Lust noch so eine feuchte Nacht zu verbringen. Um 11 erreiche ich den Ort Jasenak. Gleich beim 1. Haus ist eine Frau auf dem Hof. Ich spreche sie auf Englisch an. Aber sie versteht mich nicht. Es hat keinen Zweck…. Ich fahre weiter. Bis zu einem kleinen Lebensmittelmarkt. Aber die Verkäuferin kann auch weder englisch noch deutsch. Ich lasse mir von ihr ein Baguettebrot belegen. Dazu kaufe ich Kakao Vor dem Geschäft frühstücke ich schnell im Stehen. Dann schiebe ich das Rad weiter durch den Ort. Wenigstens regnet es jetzt nur noch ganz leicht.
Ich komme an einem Haus mit dem mir mittlerweile bekannten appartement Schild in der Einfahrt vorbei. Als ich das Rad auf den Hof schiebe, kommt mir schon eine Frau entgegen. Auch sie versteht kein Englisch. Ich zeige auf das Schild. Sage appartement. Das versteht sie. Sie bittet mich mit rein zu kommen. Im Haus zeigt sie mir das Appartement. Es ist einfach. Aber gemütlich eingerichtet. Ich frage auf Englisch was es kostet. Irgendwann versteht sie sagt 150 Kuno. Das ist günstig. Ich gucke in mein Portemonnaie. Allerdings hab ich nur noch 40 Kuno. Und einen 10 Euro Schein. Ich frage auf Englisch, ob ich mit Karte zahlen kann. Als ich ihr die Karte zeige versteht sie es. No…das geht nicht. Dann frage ich, ob die 10€ und 40 Kuno auch gehen. Zeige ihr die Scheine. Das geht. Trotz der Sprachschwierigkeiten schaffen wir es uns zu verständigen. Ich frage weiter…versuche ihr mit den Finger klar zu machen, dass ich 2 Nächte bleiben will. Zeige ihr mein leeres Portemonnaie. Sie versteht. Und nickt. Das was ich bezahlt habe ist auch für 2 Nächte ok. Damit hab ich erstmal etwas Sicherheit. Mein Fahrrad kann ich ins Brennholzlager stellen. Dann kommt ihr Mann. Sie unterhalten sich auf kroatisch. Auch er kann kein englisch. Aber er nickt. Also ist das so ok. Ich richte mich kurz ein. Hänge die wichtigsten Sachen zum trocknen auf die Heizung. Und finde tatsächlich noch eine trockene Jogginghose und ein trockenes Shirt in meiner nassen Wäsche. Dann dusche ich erstmal. Ich überlege, wie ich den beiden klar machen kann, dass ich viel länger hier bleiben möchte. Dann hab ich eine Idee.
Ich schreibe mein Anliegen auf dem Tablet. Das ich mit dem Fahrrad aus Deutschland komme. Und auf dem Weg nach Hiroshima bin. Das ich jetzt nicht weiter fahren kann. Weil es zu nass ist. Und bald Winter ist. Das ich gerne den Winter hier verbringen möchte. Ich aber nicht jeden Tag 20 € bezahlen kann. Ich biete 150€ im Monat an.
Dann kopiere den Text in den Google Übersetzer auf kroatisch. Es funktioniert. Ich kann sogar einfach einen Text eingeben. Google übersetzt automatisch. Und auch andersrum. Ich geh mit dem Tablet runter zu den Vermieterin. Und zeige ihm den Text. Er versteht. Und er antwortet direkt auf dem Tablet. Nein. Das geht nicht. Er kann mir das Appartement nicht für 150€ im Monat geben.
Dann schreibe ich wieder. Frage ihn ob er eine andere Idee hat, wo ich über den Winter bleiben kann. Er überlegt kurz.
Dann zeigt er mir auf seinem Handy Bilder einer einfachen Hütte. Er schreibt, dass die etwas abgelegen ist. Die kann er mir für 150€ monatlich vermieten. Allerdings gibt es dort keinen Strom und kein Wasser. Wir unterhalten uns recht lange über das Tablet und den Google Übersetzer. Seine Frau kocht mir in der Zwischenzeit einen Kaffee.
Später fahren wir mit seinem Auto zu der Hütte. Sie ist wirklich abgelegen. Es führt kein Weg dorthin. Das heißt, der Weg hört irgendwann auf. Er fährt mit dem Auto noch ein Stück über die Wiese. Bis das Auto fast stecken bleibt. Wir steigen aus. Und gehen den Rest zu Fuß. Die Hütte ist richtig einsam mitten in der Natur. Und sehr einfach. Nicht isoliert. Drinnen gibt es 2 Betten. Und einen Holzofen. Auf dem auch gekocht werden kann. Etwas Feuerholz ist da. Draußen liegt viel Totholz. Es gibt eine Handsäge und ein Beil. In der Nähe ist ein kleiner Bach. Dort kann ich mich mit Wasser versorgen. Und, was für mich sehr wichtig ist…Die Hütte is abschließbar.
Mir ist klar, dass der Winter in so einer einfachen Hütte ohne Strom und Wasser hart wird. Und dafür 150€ ist auch nicht so günstig. Aber trotzdem lasse ich mich darauf ein. Als wir zurück fahren, sagt mein Vermieter noch, dass ich nachts möglichst nicht rausgehen sollte. Es gibt hier Bären und Wölfe. Ich muss an die letzte Nacht denken...
Im Wohnzimmer unterhalten wir uns noch recht lange über mein Tablet. Morgen fährt er in den nächsten Ort. Dort ist ein Geldautomat. Dann kann ich Geld für die Novembermiete holen. Wie abgemacht kann ich bis übermorgen im Appartement bleiben. Dann ziehe ich um.
Mein Gedanke ist, dass ich mir hier im Ort Arbeit suche. Aber das ist gar nicht so einfach. Mein Vermieter ist selbst im Ruhestand. Und er weiß auch niemand der Hilfe braucht.
Als ich dann wieder im Appartement bin, hänge ich so nach und nach meine nasse Wäsche auf.
Später chille ich mich ins Bett. Und schreibe den Bericht von gestern. Und lade Fotos hoch. Auf Facebook hat sich auf meinem Profil eine sehr interessante Diskussion über meine Reise und die Umsetzung ergeben. Ich werde morgen mal auf die ganzen Kommentare eingehen. Und einen Post dazu schreiben. Außerdem bekomme ich finanzielle Unterstützung von einem Freund aus Deutschland . Dafür bin ich sehr dankbar. Gerade jetzt kann ich jeden Euro gebrauchen. Auch wenn ich das Geldsystem ablehne. Ich merke immer wieder, das es ohne Geld nicht geht.
Ein anderer Freund von mir hat eine Initiative für mich gestartet. Er hat den Outdoor Ausrüster Decathlon in Zadar angeschrieben. Und um Unterstützung für mich gebeten. Allerdings kam von dort eine Absage. Sie sehen keine Möglichkeiten mich zu unterstützen. Diese Initiative bringt mich auf eine Idee. Ich könnte mir ja einen offiziellen Sponsor suchen. Das hatte ich ja in Deutschland schon vor meiner Abreise überlegt. Diesen Gedanken aber wieder verworfen. Weil meine Homepage ja noch nicht fertig war. Aber jetzt ist sie ja fertig. Damit kann ich jetzt Firmen wie Decathlon anschreiben. Und fragen, ob sie mir Teile meiner Ausrüstung zur Verfügung stellen.
Mir Ist klar, dass ein Großteil von dem was ich als Ausrüstung dabei habe, für solch eine Tour nicht geeignet ist. Aber darüber kann ich mir während der Winterpause Gedanken machen…
Außerdem schreibt mich eine Frau aus Österreich an. Sie hatte sich nach dem Facebook Aufruf von Sandra ja schon gemeldet. Und mir ein Zelt angeboten. Damals hatte ich mich ja für das BW Zelt entschieden. Sie würde mir das Zelt hierher schicken. Dazu brauche ich allerdings eine Postadresse. Ich werde in den nächsten Tagen mal überlegen, wie das umzusetzen ist.
Ich trinke dann noch meine Zitrone. Mit heißem Wasser, dass ich mir auf dem Gasherd koche. Etwa ab Mitternacht schlafe ich.
Ich bin heute knapp 10 km gefahren.